Großprojekt Kanukauf
Da Bernd unglaubliche Angst hatte, wir hätten unterwegs zu wenig zu tun und keinerlei sportliche Betätigung, wollten wir uns ein Kanu (Kajak) kaufen. Unserer Meinung nach die einzige Sportart, die wir gemeinsam ausüben könnten. Wir hatten es auch schon mit Wandern und Radfahren probiert, waren aber bei beiden gänzlich gescheitert. Bernd hatte sooo lange Beine, wenn er einen Schritt machte, musste ich drei machen. Meine Gangstöhrung war auch sehr hinderlich und beim Radfahren fuhr er ständig 200 Meter vor mir her, drehte sich suchend zu mir um und versuchte mich unter lautem „Kommrufen“ zu sich heranzuwinken. Er hatte früher einmal Radsport betrieben und immer noch äußerst trainierte Beine. Ganz im Gegenteil zu mir. Ich gab natürlich trotzdem alles und fuhr pustent und schwitzend hinter ihm her. Ich versuchte den Abstand zwischen uns zu verringern. Mir war schon richtig schlecht vor Überanstrengung und bevor ich gar keine Puste mehr hatte, schrie ich verzweifelt: Fahr langsamer!!!! Darauf Bernd: Wenn ich noch langsamer fahre, kipp ich um. Ich war stinksauer und als wir endlich nach 10 Kilometern und ich nahe dem Erschöpfungstod unser Ziel erreicht hatten, hatte sich zu allem Überfluss auch noch meine Jacke hinten über meinen Sattel geschoben. Ich kam einfach nicht mit meinem Hintern hoch und konnte demzufolge natürlich nicht absteigen. Also kippte ich ganz langsam um. Quasi in Zeitlupe. Bernd rief noch: Pass auf!!! aber da lag ich auch schon, mit aufgeschrammten rechten Knie und blutiger rechter Hand unter meinem Fahrrad. Auch, dass Bernd mir dann half wieder hochzukommen, nützte nichts, ich hatte seit diesem Zeitpunkt einfach keinen Bock mehr mit ihm zusammen Rad zu fahren.
Oberarme wie ein Ringer
Also wollten wir uns ein Kanu kaufen. Denn wenn ich eins hatte, waren es Armmuskeln. Meine Oberarme sind der Hammer und doppelt so dick wie die von Bernd. Mit ordentlich Wumms dahinter. Das liegt daran, dass ich aufgrund fehlender Beinmuskulator keine Treppe raufkomme und mich immer mit den Armen am Geländer hochziehen muss. Da ich ein ordentliches Kampfgewicht habe und alle meine Haushalte Treppen haben, bin ich ständig in Übung und meine Arme aufgepumpt wie die eines Kampfringers. Also beim Kanufahren hätte ich keine Probleme. Es sollte ein gutes sein und natürlich nicht so schwer und möglichst wenig Stauraum im WOMO sollte es benötigen.Diesmal durchforstete Bernd wochenlang das Internet und eigentlich kam nur ein aufblasbares, aber trotzdem stabiles Boot in Frage, in dem man gut saß und keine Rückenschmerzen bekam. Es durfte auch nicht so klein sein, denn Bernds elendig langen Beine mußten schließlich irgendwie untergebracht werden. Bernds Recherche ergab, dass es in Dorsten einen großen Kanushop gab und den wollten wir am Wochende besuchen und uns das heißersehnte Teil kaufen. Bernd rief den Inhaber im Vorfeld ein paar mal an, um Vorabinformationen zu bekommen, aber ohne Erfolg. Der Typ war nicht besonders gesprächig und beantwortete eigentlich keine von Bernds zahllosen Fragen.
Franziska, eine Cousine von Bernd, die er 10 Jahre nicht gesehen hatte, war durch den Zeitungsartikel über unseren Ausstieg auf uns aufmerksam geworden und wollte uns gerne einmal wieder sehen. Wir verabredeten uns mit ihr und ihren Mann Klaus in Dorsten, wo sie uns einen Stellplatz freihielten. Die Wiedersehensfreude war groß und wir verbrachten 2 sehr harmonische Tage miteinander. Viele Grüße an die beiden an dieser Stelle!
Am Samstag morgen, nach einem guten Frühstück, schwangen wir beiden uns auf unsere Räder und fuhren also zum Kanuladen, welcher ca. 4 km vom Womo-Stellplatz entfernt war. Wir fanden ihn auf Anhieb, auch wenn wir zuerst nicht glauben konnten, dass er es war. Ein total dreckiges verwittertes Schild, darunter 4 gammelige Boote und gegenüber eine Scheune in denen ein paar Kanus untergebracht waren. Na, das hatten wir uns aber anders vorgestellt. Bernd sagte zu der Dame, die dort bediente, dass er schon mehrfach ihren Mann angerufen hätte, um uns anzumelden. Daraufhin antwortete sie absolut trocken: „Das ist nicht mein Mann, wenn er´s wäre, wäre ich schon tot“. Und er wäre im Augenblick auch Gott sei Dank nicht da. Sie war 1,60 m klein und hatte gerade 4 kg zugenommen und wog jetzt 46 Kg, worüber sie sehr froh war. Außerdem rauchte sie seit 2 Tagen nicht mehr und völlig fasziniert berichtete sie, dass ihre Haare immer noch nach Shampo rochen. Ich war drauf und dran zu fragen ob ich mal schnuppern dürfe, verkniff es mir dann aber. Desweiteren setzte sie uns davon in Kenntnis, dass ihr Chef etwas merkwürdig ist, nicht sehr kommunikativ, kein Menschenfreund, sehr distanziert aber trotzdem ein guter Mensch, weil er sich 6 Monate im Jahr in Thailand um streunende Hunde kümmert. Fragen würde er auch keine beantworten, aber dazu wäre sie ja da und ihr Name ist Nadja. Für uns würde nur ein längeres Boot in Frage kommen, sagte sie mit Kennerblick auf Bernds Beine und bevor wir Fragen stellten, sollten wir die Boote lieber ersteinmal ausprobieren. Das taten wir dann auch. Bernd hatte sich vorab ja schon sehr im Internet informiert und sich innerlich schon für ein bestimmtes Kanu entschieden. Name ist mir gerade entfallen. Dieses trugen Bernd und sie zum Wasser und ich trottete hinterher. Die Fenne wurde unter dem Boot angebracht (keine Ahnung wozu die wichtig ist ?!) und das Boot zu Wasser gelassen. Bernd sollte zuerst einsteigen und während er dieses tat, hielten Nadja und ich das Boot fest. Unter sehr großen Gewackel schaffte er es und ich wenig später auch. Ich wollte losrudern, aber da von vorne ein großes Binnenschiff kam, wollte Bernd lieber noch warten. Ich sagte: Quatsch, der Fluss ist breit genug und wenn wir jedesmal warten wenn ein Schiff kommt, kämen wir nie voran. Ich ruderte los und Bernd, der ja weil er hinten saß, für die Steuerung zuständig war, navigierte uns immer schön rechts am Rand entlang. Das klappte auf Anhieb. Wir waren scheinbar Naturtalente, trauten uns aber kaum zu bewegen, weil es unglaublich wackelig war, besonders als ein riesiges Binnenschiff in gehörigem Abstand an uns vorrüberzog. Bernd meinte dann, ich solle mich mal umdrehen, ob noch ein Schiff von hinten käme. Ich fragte ihn, warum er sich nicht selbst umdrehen könne. Daraufhin meinte er allen Ernstes, von vorne hätte man einen besseren Blick, wenn man nach hinten sehen würde. Ja nä, ist klar. Ich drehte mich also um und sah….. Bernd, der natürlich hinter mir saß. Allein mein Umdrehen brachte das Boot schon wieder ziemlich ins Schwanken. Ich will an dieser Stelle nicht wieder auf mein Gewicht zu sprechen kommen. Ein anderer erfahrener Kanufahrer kam uns nun entgegen und rief, wir sollten das Paddel enger halten – Schulterbreit. Ich daraufhin zu ihm: Wir machen dies zum ersten mal. Darauf antwortete er: Das sieht man!!! Also doch keine Naturtalente. Illusion beraubt. Wir drehten um, was ganz gut klappte und ruderten in gutem Tempo zurück. Der Tipp, die Paddel enger zu halten, war Gold wert. Das Aussteigen war noch einmal ein kleine Herrausforderung, aber klappte besser als gedacht. Nun wurde gerade ein anderes Kanu frei. Ein KXone-Slyder-485. Etwas breiter nicht so aerodynamisch und mit etwas höheren wulstigeren Seiten. Bernd hatte sich im Vorweg schon gegen dieses Modell entschieden, meinte aber jetzt, wir könnten ihn ja doch noch eben ausprobieren. Ich hatte eigentlich überhaupt keine Lust wieder in so ein wackeliges Boot einzusteigen. Ich meine, war ja schon toll, dass wir beim ersten Mal nicht umgekippt sind und man muss sein Glück ja auch nicht überstrapazieren. Aber mitgehangen, mitgefangen. Also die gleiche Prozedur wie beim erstenmal. Bernd stieg zuerst ein, dann ich, während Nadja und ihre 15jährige Tochter das Boot festhielten. Ich setzte mich vorsichtig und bemerkte sofort, dass dieses Boot viel sicherer im Wasser lag. Es schaukelte quasi überhaupt nicht und wir ruderten los. Dadurch das die Seitenteile etwas höher waren, fühlte ich mich irgendwie sicherer und hatte nicht permanent das Gefühl gleich rauszufallen. Bloß blöd, dass Bernd, wie ich dachte, anderer Meinung war. Nach 3 Minuten einträglichen Ruderns, hielt ich es nicht mehr aus und sagte zu Bernd gewandt: Ich mag´s ja gar nicht sagen, aber ich finde dieses Boot besser. Bernd legte daraufhin eine Schweigeminute ein, die er mit einem erleichternen lauten Ausatmen und den Worten beendete: Gott sei Dank, ich auch! Wie schön, der Drops war gelutscht und wir waren uns mal wieder einig ! Wie fast immer!

Jetzt ging es ans Bezahlen, was tatsächlich der Chef, er war mittlerweile eingetrudelt, selbst erledigte. Bernd machte seine üblichen Späßchen, wollte auch noch etwas handeln, aber der Chef ging auf keines von beiden ein. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen Menschen kennen gelernt, der so völlig ohne Humor ist. Nicht mal ein klitzekleines Fünkchen davon war in ihm drin und Bernd war schon kurz davor zu fragen, ober er sich noch an den Zeitpunkt erinnern könne, an dem er den Spass an seiner Arbeit verloren hatte, verkniff es sich angesichts der eisigen Mine aber lieber. Stattdessen fragte er höflich, ob es irgendwie machbar wäre, dass das Boot zu unserem Stellplatz gebracht wird. Die Antwortet war wie nicht anders zu erwarten negativ, aber wir könnten ja Nadja fragen. Ich ging also wieder zum Wasser, wo Nadja und ihre Tochter immer noch Schwerstarbeit leisteten und jeder Menge Kaufwilligen, in und aus den Booten halfen und zwischendurch immer mehr von diesen aus dem Laden anschleppten. Mittlerweile hatten sich 5 Paare entschieden ein Boot zu kaufen. Alle kauften das erste Model. Wir hatten uns ja für das andere entschieden und auch schon bezahlt. Ich sah an Bernds Gesicht, dass er leicht verunsichert war, also sagte ich ihm mit aufmunternden Blick: Schatzi, wir sind halt nicht wie die anderen und Bernd entspannte sich augenblicklich. Auf meine Frage, ob Nadja uns das Boot bringen könnte, antwortete sie sofort mit: „natürlich“ und wir machten eine Uhrzeit ab. Damit war alles erledigt und wir radelten heim. Um 16 Uhr kam dann wie verabredet Nadja und brachte unsere neueste Errungenschaft. Wir bedankten uns überschwenglich und Bernd gab ihr noch etwas Trinkgeld für ihre Mühe. Dann bemerkte Bernd, dass ein Standuppaddel fehlte und Nadja bemerkte, das Poster in unserem Fenster, welches Bernd mit Gitarre zeigt. Bernd fragte, ob sie das Paddel eventuell auch noch bringen könnte, welches sie sofort mit „ja klar“ beantwortete. Super sagte ich , dann spielt Bernd Dir zum Dank sicher noch etwas auf der Gitarre vor. Völlig begeistert erwiderte sie: „dann bringe ich noch meine Tochter mit“. Gesagt, getan und eine Stunde später saßen wir einträchtig zusammen, unterhielten uns super, lauschten den Gitarrenklängen, während Klaus mit Inbrunst und sehr professionell Köstlichkeiten für uns grillte.

Später am Abend verabschiedeten wir die beiden und Nadja nahm uns das Versprechen ab, sie bald zu besuchen.
Es war wieder ein toller Tag mit vielen Erlebnissen und einem nicht unerheblich reduziertem Bankkonto!!